Prof. Joseph Wittig: Die neue Kirche. Die Schlegeler Pfarrkirche war ein kleiner barocker Saalbau mit Schindeldach und einem Türmlein mitten auf seinem First.

Da der Weg von meinem Vaterhause zur Kirche dreitausend Meter und meine damaligen Beine, als nämlich die alte Kirche noch stand, zusammen nicht viel länger als einen einzigen Meter lang waren, bin ich nur, soviel ich weiß, ein einziges Mal in dieses ehrwürdige Gotteshaus gekommen. Gewiß hat mir meine Mutter, die mich mitgenommen, alles Heilige und Göttliche erklärt, das in der Kirche war, aber Eindruck hat auf mich nur der Rollenzug gemacht, der mechanisch die geöffnete Tür wieder verschloß. Den sehe ich jetzt noch vor Augen, wie er holprig polternd das Rädlein drehte und das Steingewicht in die Höhe zog und wieder herabließ. „Das will ich zu Hause nachmachen“, dachte ich mir – und wußte gar nicht, ab welch tiefer Stufe bei mir noch die Nachahmung des Heiligen stand. Aber die Gesetze der Mechanik gehören ja auch zu dem, „was meines Vaters ist“.

Als ich das erste Jahr in die Schule ging, war die alte Kirche schon niedergerissen, und der Neubau der jetzigen weithalligen gotischen Kirche hatte begonnen. Auch in Jesu Jugendzeit ist der Tempel von Jerusalem neugebaut worden, und es besteht gar kein Zweifel, daß wir beide, Jesus und ich, den Bau mit lebhafter Begier verfolgten und daheim mit möglicher Genauigkeit nachzubilden versuchten. Ich wenigstens habe es so gemacht. Der Bau war zwar abgesperrt, und niemand durfte den Platz betreten. Aber ich mußte in dem sein, was meines Vaters ist, erkletterte eines Mittags, als die Maurer ins benachbarte Wirtshaus zum Essen gegangen waren, die hohe Planke und betrat die neue Halle. Auch selbst St. Peter in Rom, seitdem er fertig steht, ist nicht so herrlich, wie eine Dorfkirche mitten im Bau.

Da standen die Säulen in stolzer Reihe und ließen aus ihren lebendigen Stämmen das hohe Gewölb bis zum Himmel wachsen. Und dort das Presbyterium. Mir klopfte das Herz vor freudiger Überraschung: Seine Säulenbündel wuchsen empor und gliederten sich in die schwingenden Rippen des Gewölbes und ließen zwischen sich unendlich schöne Triforien und die hohen, hohen spitzen Fenster mit Maßwerk, das mir zwar jetzt ganz einfach erscheint, damals aber eine Offenbarung höchster Gotteskunst war.

Und – das Gewölbe war schon blau gemalt, mit lauter funkelnden Goldsternen, wie der Himmel so schön. Und aus den Säulenbündeln wuchsen grünblättrige Kapitelle, und feine Blätterzweige begleiten die Rippen ein ganzes Stücklein weit. Ich bin wohl niedergekniet und habe Gott ganz wortlos angebetet inmitten dieser werdenden Herrlichkeit, nicht ohne einige Besorgnis, wie ich wieder über die Planke kommen würde, denn mein Fuß war vom Herabspringen verstaucht.

Eine neue Kirche im Dorf bedeutet immer neues kirchliches Leben im Dorf. Da wird selbst der älteste und gebrechlichste Pfarrer wieder jung. Da bauen die Leute auch in sich den Tempel des heiligen Geistes wieder auf. Die Steine reden und predigen gewaltig: „Wenn wir uralten, seit Ewigkeit verschlafenen Steine aufwachen und uns emporschwingen zur Höhe des Gewölbes und noch höher bis zur Zinne des himmelragenden Turmes, dann dürft ihr Menschen nicht zu faulen, toten Steinen werden! Sursum corda, sursum corda!“

Es ging durchs ganze Dorf und durch alle Kolonien ringsum bis zum letzten Häuslein an der Grenze eine Art Messiashoffnung. Die Menschen fanden keinen rechten Ausdruck dafür und sagten bloß: „Ja, wir bekommen eine neue Kirche!“